Stolperstein 19 Moritz Schönfeld Jg. 1873
Das Ehepaar Moritz und Recha Schönfeld wohnte seit 1907 in dem Haus, einer Villa, an der unteren Rintelner Straße, heute Nr. 14, mit ihren zwei Töchtern Irmgard und Erna sowie ihrem Sohn Alfred. Eine weitere Tochter Lieselotte, ein Nachkömmling, geb. 1921, verstarb schon nach 5 Monaten im Februar 1922.
Moritz Schönfeld war Pferdehändler und offenbar recht erfolgreich. Er wurde 1873 in Obernkirchen geboren und wuchs hier auch auf und engagierte sich u. a. für die jüdische Gemeinde. Moritz war deren stellvertretender Gemeindevorsteher. Er floh mit seiner Frau vor dem zunehmenden Naziterror am 1. 4. 1940 nach Argentinien (Buenos Aires). Beide siedelten später in die USA über. Moritz Schönfeld starb 1964 mit 91 Jahren in den USA/ Los Angeles.
Recha Schönfeld, geb. Hahn, Jg. 1882, wurde in Gudensberg/Nordhessen geboren. Sie engagierte sich ebenfalls in der jüdischen Gemeinde u. a. als Vorsitzende der Frauen-Chewra, einer Wohlfahrtsorganisation, die sich um Krankenpflege, Unterstützung Hilfsbedürftiger und um das Bestattungswesen kümmerte. Recha starb am 3. 6. 1947 (65jährig) in den USA / New York. Weitere Details über ihr Leben vor und nach der Flucht sind nicht bekannt.
Moritz Schönfeld war nicht nur als Pferdehändler ein erfolgreicher Geschäftsmann, er war offenbar auch eine selbstbewusste, starke und auch kritische Persönlichkeit. Er scheute sich nicht, Hitler und die NS-Politik schon frühzeitig zu kritisieren. Dies war für einen Juden nicht nur mutig, sondern auch lebensgefährlich.
- So wurde Moritz Schönfeld wegen kritischer Äußerungen über die Politik Hitlers als erster Obernkirchner Jude bereits am 22. 5. 1933 zunächst in „Schutzhaft“ der Polizei genommen. Der NS-Ortsgruppenleiter Erich Buchholz hatte ihn Die Schaumburger Zeitung berichtete ganz im Sinne der NS-Propaganda über diesen Fall. Dort hieß es u.a., Schönfeld habe sich „erdreistet“, über die Regierung und Politik Hitlers ein „jüdisches Urteil“ abzugeben. Für diese „Flegelei wäre eine gehörige Tracht Prügel die vielleicht beste Strafe gewesen“. In einem weiteren Bericht dieser Zeitung aus Anlass seiner erneuten Verhaftung in dieser Sache am 1. 6.1933 wurde Moritz Schönfeld als „Schädling, der verschwinden müsse“, bezeichnet. Diese Art Berichterstattung, vermischt mit hasserfüllten Kommentierungen und Stimmungsmache gegen jüdische Menschen, waren typisch für die Anpassung der Presse.
Über die Dauer der Haftstrafe und wo sie verbüßt wurde, liegen bisher keine Erkenntnisse vor. Der Hinweis in diesem zweiten Pressebericht über die “Verhaftung am 1. 6. 1933“, lässt aber darauf schließen, dass es nicht bei der „Schutzhaft“ geblieben ist.
- Ein Flugblatt, ein Pamphlet aus dem Jahre 1935, gerichtet „An die Bevölkerung von Obernkirchen und Umgebung!“, das mit dem Satz endete: „Hinweg mit der Judenpest!“, enthält persönliche Diffamierungen der übelsten Art über mehrere jüdische Menschen aus Obernkirchen. Moritz Schönfeld und seine Tochter Erna wurden aber besonders heftig attackiert. Dort heißt es u. a.: „Moritz Schönfeld [ …] ist wieder aus der Reserve hervorgetreten und benimmt sich so frech wie nie zuvor.“ Auf diese Aussage – isoliert betrachtet – können die Nachfahren von Moritz Schönfeld heute noch stolz sein. Denn das haben sich die wenigsten getraut.
- Moritz Schönfeld wurde ein weiteres Mal am Morgen nach der Pogromnacht , also am 11. 1938, verhaftet. Er wurde als Letzter der 11 männlichen Obernkirchner Juden in seiner Wohnung von SS-Schergen heimgesucht. Nach Beschlagnahme des vorgefundenen Bargeldes wurde er in „Schutzhaft“ des Polizeireviers Obernkirchen genommen und am nächsten Tag – wie alle anderen auch – aus der „Schutzhaft“ über eine Sammelstelle in Hannover ins KZ Buchenwald verschleppet.
Zu ergänzen ist allerdings, dass die SS-Schergen mit Moritz Schönfeld besonders rabiat umgingen. Er war ihnen offenbar zu selbstbewusst. Sein Protest gegen die willkürliche Verhaftung und seine Fragen nach der Rechtsgrundlage wurden mit Tritten, Schlägen und Beleidigungen beantwortet. Mit Handschellen und 6 SS-Bewachern wurde er schließlich durch die Innenstadt von Obernkirchen getrieben und der Polizei zur „Schutzhaft“ übergeben. 10 andere waren dort bereits in drangvoller Enge in zwei kleinen Haftzellen eingesperrt. Diejenigen Obernkirchener, die dies Spektakel am inzwischen helllichten Vormittag beobachteten, sahen verstohlen und stillschweigend zu oder weg – sie äußerten weder Protest noch Beifall.
Moritz hatte nach Rückkehr aus dem KZ Buchenwald erkannt, dass auch für ihn und seine Frau kein Weg mehr an der Flucht aus Deutschland vorbeiführte. Die beiden Töchter Irmgard und Erna mit ihren Männern sowie der Sohn Alfred waren bereits in den Jahren 1936 bis 1938 aus Nazi-Deutschland geflohen.
Es folgte der Zwangsverkauf seines Hauses. Moritz Schönfeld hatte weder Einfluss auf den Preis noch darauf, wer das Haus erhielt. Erstaunlicher Weise erhielt es der frühere Rektor der Obernkirchner Volksschule, August Göing , der als Freimaurer den Nazis eher suspekt war. Die Erklärung hierfür wird sein, dass die Obernkirchner Nazi-Herrschaft ein Auge auf sein in den 1930er Jahren im Ochsenbruchwäldchen gebautes Haus geworfen hatte, um darin einen Kindergarten einzurichten, denn auch die Erziehung der Kleinkinder wollten die NS-Ideologen nicht länger allein den Eltern überlassen. Der Erwerb des Hauses von Rektor Göing Plan ließ sich offenbar einfacher durch einen Tausch mit der Villa Schönfeld realisieren. Den Preis für die Villa setze die NS-Kreisleitung weit unter Wert mit 22.500 RM fest. Damit waren nicht einmal die Reiskosten nach Argentinien gedeckt.
Moritz und seine Frau Recha waren die letzten Obernkirchner Juden, denen die Ausreise noch gelang. Dabei war hilfreich, dass Tochter Erna und ihr Mann, Eduard Karlsberg , bereits seit 1936 im Zufluchtland Argentinien lebten. Der Schwiegersohn hatte von Buenos Aires aus die Einreiseformalitäten geregelt und auch einen Teil der Reisekosen übernommen. Moritz Schönfeld war 67 Jahre alt, seine Frau Recha 58, als sie Obernkirchen, ihre Heimat, wo auch ihre Kinder geboren und aufgewachsen waren, für immer verlassen mussten – nur weil sie Juden waren.
Zur Erinnerung an Moritz und Recha Schönfeld wurden am 1. 10.2016 je ein Stolperstein auf dem Gehweg vor ihrem ehemaligen Haus an der Rintelner Straße verlegt. Die Ansprache hielt Werner Hobein.
Quelle: Jüdisches Leben in der Provinz von Rolf-Bernd de Groot