Stolperstein 25 Lucie Stern Jg. 1901
Lucie, geb. Doctor, Jg. 1901, aus Bruchsal, dem heutigen Baden-Württemberg. Sie hatten eine Tochter, Hannelore, geb. 1929 in Hannover.
Benno führte das von seinem Vater, Leopold Stern, gegründete Textilgeschäft an der heutigen Neumarktstraße Nr. 23 fort. Lucie half im Geschäft, war aber im übrigen Mutter und Hausfrau. Auch dieses Geschäft stand aufgrund der schändlichen Boykottaufrufe der Nazis, die schon im April 1933 begannen, bald am Rande des wirtschaftlichen Ruins. Aber das war erst der Anfang einer langen Kette von Nazi-Terror bis hin zur Deportation und Vernichtung
Zwar wurde Benno Sterns Geschäft in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. 11. 1938 nicht von den auch in Obernkirchen wütenden SS-Schergen aus Hameln heimgesucht und demoliert, aber von deren „Besuch“ am folgenden frühen Morgen blieb er nicht verschont. Die Eindringlinge beschlagnahmten das in der Wohnung vorgefundene Bargeld und brachte ihn und seinen im selben Haus wohnenden Schwager, Jacob Steinberg, für eine Nacht ins „Polizeigefängnis Obernkirchen, in „Schutzhaft“ wie es die Nazis nannten.
Soweit ersichtlich, waren es insgesamt 11 jüdische männliche Personen aus Oberkirchen, überwiegend Geschäftsleute, denen es so erging. Alle 11 wurden am nächsten Tag einer Sammelstelle in Hannover zugeführt und von dort aus mit der Reichsbahn ins KZ Buchenwald bei Weimar verschleppt. Reichsweit waren es 25.000 bis 30.000 jüdische Männer, die völlig willkürlich verhaftet und auf mehrere KZs verteilt wurden. Mit dieser „Aktion“ – daher auch die Bezeichnung „Aktionsjuden“ – sollte einzig und allein der Ausreisedruck erhöht werden.
Benno Stern war spätestens nach Entlassung aus dem KZ klar geworden, dass nur eine unverzügliche Flucht aus Deutschland noch Schlimmeres vermeiden konnte. Zusammen mit seinem Schwager Jakob Steinberg suchte er nun nach einem aufnahmebereiten Zufluchtland. Sie fanden nur Aufnahmebereitschaft in Bolivien, jenem bitterarmen Staat in Südamerika. Beide Familien hatten die Einreisegenehmigung dorthin beantragt und auch erhalten.
Zur Finanzierung der erzwungenen Ausreise musste Benno Stern sein Haus
verkaufen, was aber ohnehin im Rahmen der „Arisierung jüdischen Vermögens“ nicht zu verhindern gewesen wäre. Einziger zugelassener Käufer war der ortsbekannte, SS-Scharführer und Zahnarzt Dr. Schulze-Noelle, der in der Pogromnacht als Anführer der Obernkirchner SS-Schergen im Raum Beckedorf, Sachsenhagen und Rodenberg sein Unwesen getrieben hatte. Der üppige Lohn hierfür: Das Sternsche Haus zum behördlich festgesetzten Schnäppchenpreis.
Ungeachtet der Ausreiseabsicht und des schon erteilten Auftrages an eine Bremer Speditionsfirma, die Möbel für die Schiffspassage nach Bolivien zu verpacken und für die Schiffspassage zu deponieren , hatte Schulze-Noelle nach dem „Hauskauf“ auch keine Skrupel, darauf zu drängen, dass die Familien Stern und Steinberg das Haus unverzüglich räumten und (zwischenzeitlich) in das sogenannte „Judenhaus“, dem früheren Synagogengebäude, einquartiert wurden. „Judenhäuser“ wurden flächendeckend im gesamten Reichsgebiet zur konzentrierten Unterbringung jüdischer Menschen, deren Ausreise noch nicht definitiv feststand, eingerichtet. Zu dem Zweck hatte der NS-Bürgermeister Herzog das Synagogengebäude Mitte 1939 zunächst beschlagnahmt und später in städtisches Eigentum überführt. Die Familien Stern und Steinberg waren die ersten Obernkirchner Juden, die er ins „Judenhaus“ eingewiesen hatte. Die Zerstörungen durch den SS-Trupp in der Pogromnacht, u. a. zerschlagene Fensterscheiben, hatte der Bürgermeiste in voller Absicht weder vorher noch später beheben lassen.
Seit Beginn des 2. Weltkrieges am 1. 9. 1939 wurden die Ausreise immer schwieriger. Jedenfalls haben es die Familien Stern und Steinberg nicht mehr geschafft, die Passagen nach Bolivien zu buchen. Die Hoffnung auf rechtzeitige Flucht war geplatzt. Inzwischen war es ein offenes Geheimnis, dass die Konzentration in den „Judenhäusern“ der Vorbereitung der Deportation in die Vernichtungslager diente – auch wenn die NS-Propaganda der den Betroffenen und der Öffentlichkeit vorgaukelte, die jüdischen Menschen würden als „Entwicklungshelfer“ in den besetzten Ostgebieten eingesetzt.
Die Familie Benno Stern wurde am 20. 7. 1942 aus dem „Judenhaus“ abtransportiert und über eine zentrale Sammelstelle in Ahlem, dem heutigen Hannover-Ahlem, am 23. 7. deportiert, zunächst in das KZ Theresienstadt. Hier verstarb Lucie Stern im Mai 1943 an den Folgen einer Typhusepidemie, die aufgrund katastrophaler hygienischer Verhältnisse durch die Überbelegung und Versorgungsmängel ausgebrochen war. Benno Stern wurde 1944 von dort in das Vernichtungslage Auschwitz verschleppt. Dort verlieren sich seine Lebensspuren. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wurde er dort ermordet, vergast.
Zur Erinnerung an Lucie und Benno Stern wurden am 1. 10. 2016 je ein Stolperstein verlegt. Peter Schultz stellte in Vertretung seiner Frau Rosemarie, geb. Hoffmann, und seines Schwagers Friedrich Hoffman das Ehepaar Stern und ihr Schicksal vor. Er wies aber auch auf die besondere Beziehung seiner Frau und seines Schwagers hin. Denn deren Vater, Siegmund Hoffmann, hatte das Sternsche Haus 1954 gekauft, und zwar von Hannelore Stern. Näheres hierzu wird bei der Vorstellung von Hannelore Stern ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf verwiesen.
Quelle: Jüdisches Leben in der Provinz von Rolf-Bernd de Groot