Stolperstein 26 Hannelore Stern Jg. 1929

Hannelore Stern war die Tochter von Benno und  Lucie Stern. Sie  wurde 1929 in Hannover geboren und  wohnte mit ihren Eltern an der Neumarktstraße 23 in Obernkirchen.  Mit in diesem Haus wohnte  ihrer Tante Rosa – die Schwester ihres Vaters –  und deren Mann, Jacob Steinberg.

Die Kindheitsjahre in Obernkirchen waren von Angst, Schrecken und Ausgrenzung geprägt.  Alle Ängste und  Sorgen der Eltern,  die ständigen Schikanen  und Demütigungen  zogen natürlich nicht spurlos an dem  Kind vorbei.  In einem irrational judenfeindlichen Umfeld musste auch das  Kind Hannelore schreckliches miterleben,

zum Beispiel:

  • das Eindringen von SS-Schergen in die Wohnung ihrer Eltern am Morgen nach der Pogromnacht, und die willkürliche Verhaftung ihres Vaters und des im selben Haus wohnenden Onkels, Jakob Steinberg,  mit anschließender Verschleppung  in das KZ Buchenwald;
  • das Verbot vom 15. 11. 1938 für alle jüdischen Kinder „deutsche“ Schulen zu besuchen;
  • der Zwangsverkauf des Elternhauses an den berüchtigten SS-Mann und Zahnarzt Dr. Schulze-Noelle und die damit verbundene Verbannung in das „Judenhaus“
  • Hannelores mysteriöse Entführung zusammen mit ihrer Tante Rosa Steinberg  durch die Gestapo  im Februar 194 (näheres hierzu s. Vorstellung der Eheleute Steinberg) und
  • im Juli 1942 ihre Abholung und die ihrer Eltern aus dem „Judenhaus“ in die zentralen Sammelstelle der Gestapo im heutigen Hannover- Ahlem, der Vorhölle für die Deportation.

Hannelore war 13 Jahre alt,  als sie  und ihre Eltern dann vom Bahnhof Hannover-Linden  mit dem Ziel der Vernichtung deportiert wurde, zunächst ins KZ Theresienstadt, wo ihre Mutter 1943 ums Leben kam.

Wie ihr Vater  wurden  Hannelore und zwei weiteren jungen Frauen aus Obernkirchen, die Geschwister Ruth und Edith Lion,  Anfang 1944 nach Auschwitz verschleppt. Hannelores Vater wurde dort  wahrscheinlich  sofort  ermordet, vergast.

Hannelore und die beiden Lion-Töchter galten noch als arbeitsfähig, so dass ihre Ermordung

verschoben wurde. Wegen des Herannahens der sowjetischen Front kam es dazu aber nicht mehr. Das Frauenlager Auschwitz-Birkenau wurde bereits Ende 1944 geräumt. Die Frauen wurden unter dramatischen Umständen nach Bergen-Belsen transportiert. Und was sie dort vorfanden, war noch schlimmer als alles vorherige, es war die Hölle auf Erden. In der heutigen Gedenkstätte Bergen-Belsen  wird das ganze Ausmaß des Schreckens  in einem Dokumentarfilm gezeigt, den die britische Armee als unumstößlichen Beweis dort unmittelbar nach der Befreiung  gedreht hatte.  Die noch  lebenden Insassen vegetierten inmitten  von Leichenbergen dahin. Die Leichenberge  mussten, um die  ausgebrochene Epidemie zu stoppen, mit Bulldozern in Massengräber geschoben werden. Bilder, die man nie mehr vergisst. Darunter befanden sich auch die Leichname der beiden Schwestern Ruth und Edith Lion aus Obernkirchen, die dort noch kurz vor der  Befreiung den Tod fanden. Auch der Leichnam von Anne Frank befindet sich  in einem dieser Massengräber.

Hannelore Stern  wurde am 15. 4. 1945 aus dieser Hölle von britischen Soldaten befreit. Sie  überlebte als einzige Obernkirchenerin den Holocaust, den Völkermord der Nazis  an europäischen Juden. Sie war inzwischen knapp 16 Jahre alt.

Nach ihrer Befreiung wurde Hannelore  nach Obernkirchen entlassen. Sie  wurde mit einem Sanitätswagen der britischen Armee gebracht und sofort auf der im Stift damals eingerichteten  Krankenstation behandelt. Nachdem sie  körperlich hinreichend wieder zu Kräften gekommen war und entlassen wurde, stand sie vor dem Nichts.

Ihr wurde dann eine kleine Wohnung im Hause Svenson, Lange Straße 26, dem früheren Haus ihrer Großtante Helene Düring, zur Verfügung gestellt. Das Verhältnis zwischen Hannelore und  der Familie Svenson war offenbar sehr herzlich. Dennoch muss es  für Hannelore Stern  unerträglich gewesen sein, dass sich  in ihrem Elternhaus an der Neumarktstraße nachwievor der frühere SS-Mann Schulze-Noelle breitmachte und die Möbel ihrer Eltern von der NS-Volkswohlfahrt verscherbelt worden waren, z. B. hatte die Schlafzimmereinrichtung ihrer Eltern der  Obernkirchner SA- Obersturmführer Heinrich  Rose erhalten.

Sehr  bald erhielt Hannelore, die die Nazis zur Vollweise gemacht hatten, eine Einladung von Ihrem Onkel Julius Düring und seiner Frau zu ihnen in die USA auszuwandern und dort ein neues Leben zu beginnen. Dies wäre in Obernkirchen beim täglichen Anblick der Täter von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

Noch im Herbst 1945 folgte Hannelore dieser Einladung. Die Auswanderung muss ihr wie eine zweite Befreiung vorgekommen sein. Die Idee,  ein neues Leben zu beginnen, setzte sie zügig um. Sie änderte zunächst 1946 ihren Vornamen. Aus Hannelore wurde   Lorraine. Nachdem sie bald darauf von ihrem Onkel und seiner Frau, die kinderlos waren,  adoptiert wurde, änderte sich auch der Nachname.  Aus Hannelore Stern war  Lorraine During (nicht Düring) geworden.

1955 heiratete sie Max Erlanger. Von nun an hieß sie bis an ihr Lebensende Lorraine Erlanger. Ihr Mann starb 2007. Nach seinem Tod zog die inzwischen 78-Jährige in die Seniorensiedlung nach Seabrook im Staate New Jersey, und verbrachte  dort ihren Lebensabend. Sie verstarb  82-jährig  im November 2011. Offenbar hatte sie noch ein erfülltes Leben, beruflich, gesellschaftlich und vor allem auch familiär. Lorraine Erlanger, geb. Hannelore Stern, hinterließ  2 Söhne, 2 Schwiegertöchter, 4 Enkel und 2 Urenkel.

Eine späte Genugtuung für Hannelore Stern, die damals schon  Lorraine During  hieß,  war sicherlich, dass Anfang der 1950er Jahre in einem Restitutionsverfahrens entschieden worden war, dass der Grundstückskaufvertrag  mit Schulze-Noelle von Anfang an aus nahe liegenden Gründen null und nichtig war, wegen Sittenwidrigkeit wie es im BGB heißt, denn der Vertrag  war unter Zwang zustande gekommen. Folglich wurde  Lorraine During, die frühere Hannelore Stern,  als  rechtmäßige  Erbin  Eigentümerin des  Hausgrundstücks ihres Vaters, der – wie erwähnt – im KZ Auschwitz ermordet wurde.  Dass Schulze-Noelle, der Peiniger der Familie Stern, dickfällig noch in diesem Hause wohnen blieb und dort weiterhin seine Zahnarztpraxis betrieb, spricht für sich, aber nicht für ihn.

1954 entschied sich Lorrain  During, geb. Hannelore Stern, für den Verkauf des Hauses und beauftrage damit die Stadtsparkasse Obernkirchen. Käufer und neuer Eigentümer wurde der Elektromeister Siegmund Hoffmann, der das Haus mit seiner Familie bewohnen und auch darin  ein  Elektrogeschäft betreiben wollte. Das verzögerte ich aber bis 1955, weil Schulze-Noelle keine Anstalten machte,  aus dem 1939  rechtsungültig erworbenen Haus auszuziehen und dafür auch offenbar Verständnis, wenn nicht gar Unterstützung bei einem Teil der Obernkirchner Bevölkerung fand. Daher sah sich der neue Eigentümer gezwungen, durch Umbauarbeiten zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, so dass Schulze-Nölle nicht wohnen bleiben sondern auch seine Zahnarztpraxis weiter betreiben konnte. Um 1960 war es dann endlich soweit. Schulze-Noelle zog endlich aus und verzog mit einer Frau, die nicht seine Ehefrau war,  nach Baden Württemberg.

Leider verstarb der neue Eigentümer, Sigmund Hoffmann, schon 1883. Die Familie führte das Elektrogeschäft noch einige Jahre weiter, aber 1987 wurden dann aber Haus und Geschäft verkauft.  Hierauf hat auch Peter Schultz, der Schwiegersohn von Siegmund Hoffmann, der in Vertretung seiner Frau Rosemarie und ihres Bruders Friedrich bei  der Stolpersteinverlegung eindrucksvoll das Schicksal von Hannelores Eltern vorgetragen hat, hingewiesen. Über 30 Jahre hatten die Geschwister Rosemarie und Friedrich in diesem Haus gelebt.

Zur Erinnerung an Hannelore Stern, die spätere Lorraine Erlanger,  wurde für sie und Ihre Eltern am 1. 10. 2016 je ein Stolperstein verlegt. Louisa Hering stellte Hannelores Leben und Überleben in den KZs Theresienstadt, Auschwitz und Bergen Belsen vor.  Ihr Großvater, Wilfried Bartels, ergänzte ihre Ausführungen.

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24-28 Stolpersteine für Bendix, Lucie und Hannelore Stern, sowie Jakob und Rosa Steinberg

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24-28 Stolpersteine für Bendix, Lucie und Hannelore Stern, sowie Jakob und Rosa Steinberg 52.272077, 9.130824 Neumarktstraße 23, Gedenken an Familie Bendix Stern, Bendix & Lucie Stern, Hannelore sowie Gedenken an das Ehepaar Jakob und Rosa Steinberg http://www.stolpersteine-obernkirchen.de/stolperstein-24-bendix-stern-jg-1883/ http://www.stolpersteine-obernkirchen.de/stolperstein-25-lucie-stern-jg-1901/ http://www.stolpersteine-obernkirchen.de/stolperstein-26-hannelore-stern-jg-1929/ http://www.stolpersteine-obernkirchen.de/stolperstein-27-jakob-steinberg-jg-1872/ http://www.stolpersteine-obernkirchen.de/stolperstein-28-rosa-steinberg-jg-1881/