Stolperstein 31 Philipp Adler Jg. 1888
Philipp Adler, wurde 1888 in Obernkirchen geboren. Er ging hier zur Schule, wuchs hier auf, zog von hier aus als Freiwilliger in den 1. Weltkrieg und wurde als Frontsoldat schwer verwundet (Lungenschuss). Der versprochene „Dank des Vaterlandes“ dafür, dass er als „Freiwilliger“ im 1. Weltkrieg gekämpft hatte, blieb man ihm – wie auch allen anderen jüdischen Soldaten – schuldig.
Philipp heiratet 1922 Margarete Rothschild aus Hildesheim, deren Eltern dort ein Kaufhaus betrieben. Nach Eheschließung verzogen Philipp und seine Frau für kurze Zeit nach Köln, kehrten aber bald nach Hildesheim zurück, wo Philipp im Geschäft des Schwiegervaters „Magazin Rothschild“ Beschäftigung fand. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor, Ingeborg, geb. 1923 in Köln, und Ruth, geb. 1929 in Hildesheim.
Philipp war der Sohn von Seline und Samuel Adler. Sein Vater Samuel baute um 1890 das Geschäfts- und Wohnhaus in der Langen Straße, heute Nr. 9. Zuvor riss er sein dort stehendes ererbtes altes Fachwerkhaus ab. In dem modernen Neubau betrieb Philipps Vater im Parterrebereich ein Textilgeschäft. In der oberen Etage wohnte die Familie mit ihren beiden Töchtern Gertrud und Hildegard sowie dem Sohn Philipp. Philipp und seine Schwester Hildegard sind vermutlich in diesem Haus geboren.
Ihr Vater Samuel starb bereits 49jährig im Jahre 1902. Philipp war zu dem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt, zu jung, um das Geschäft zu übernehmen. Für die hinterbliebene Familie war der frühe Tod des Ehemannes und Vaters sicherlich eine finanzielle Katastrophe. Wie es tatsächlich nach Samuels Tode mit dem Geschäft weiterging, konnte bisher nicht festgestellt werden. Vermutlich wurde es zunächst von seiner Frau Seline recht und schlecht weitergeführt. Diese vermachte das Wohn- und Geschäftshaus – wahrscheinlich aus finanzieller Not – 1919 an ihre Schwester Betty Adler. Bettys Mann, Meier Philipp Adler, war der Bruder des verstorbenen Samuel. Ihr Sohn Paul Adler übernahm gleich oder später das Kauf- und Wohnhaus . Wann genau das Eigentum auf Paul Adler überging, wurde bisher nicht festgestellt. Philipps Mutter starb 1926.
Der sicherlich zwingend notwendige Verkauf des Hauses an Betty Adler und die Geschäftsübernahme durch Bettys Sohn Paul mag der Grund dafür gewesen sein, dass Philipp Obernkirchen verlassen hat und sich im Kaufhaus seines Schwiegervaters in Hildesheim engagierte.
Der zunehmende Naziterror ließen auch Philipp und seiner Familie keine andere Wahl, als aus Deutschland zu flüchten, um Deportation und Ermordung zu entgehen. Es gelang Philipp mit Familie Anfang 1938 von Hameln aus Zuflucht in Neuseeland zu finden. Dorthin war – in weiser Voraussicht – bereits 1936 seine knapp 3 Jahre jüngere Schwester Hildegard mit ihrem Mann, Julius Fürst, geflüchtet. Ihre Bürgschaften waren Voraussetzung für die Einreiseerlaubnis nach Neuseeland.
Die Flucht zu diesem relativ frühen Zeitpunkt ersparte Philipp die schrecklichen Ereignisse in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. 11. 1938 und die reichsweite, willkürliche Verhaftungswelle von insgesamt 25.000 bis 30.000 jüdische Männern, die am folgenden Tage in verschiedene KZs verschleppt wurden, die aus dem Bezirken Hannover und Hildesheim wurden dem KZ Buchenwald zugeführt. Allein aus Obernkirchen traf dies – soweit ersichtlich – 11 jüdische Männer, vorwiegend Geschäftsleute. Unter den Häftlingen befand sich auch der erst 15 jährige Erich Adler, der Neffe von Philipp und Sohn von Paul Adler. Ihre Stolperstein liegen jetzt neben einander. Die Begründung für diese Willkürmaßnahme: „Erhöhung des Ausreisedrucks“.
Philipp Adler blieb auch im fernen Neuseeland seiner trotz allem geliebten Geburtsstadt Obernkirche emotional eng, aber auch kritisch verbunden. Offenbar las der inzwischen 82Jährige Philipp in Neuseeland auch die Schaumburg-Lippische Landeszeitung. Jedenfalls nahm er zu einem an Ignoranz und Falschbehauptungen nicht zu überbietenden Bericht dieser Zeitung über den Abriss der ehemaligen Synagoge im Jahre 1970 Stellung. Die Verfasserin dieses skandalösen Artikels war die bekannte und sogenannte „rasende Reporterin“ aus Obernkirchen. Ihr Namenskürzel lautete „Kr“. Rolf-Bernd de Groot spricht in seinem Buch „Jüdisches Leben in der Provinz“ von „abstruser und haarsträubender Geschichtsfälschung“. Und dennoch blieben die skandalösen und dummdreisten Ausführen dieses Artikels in Obernkirchen in jener Zeit unwidersprochen.
Nur vom fernen Neuseeland verfasste der damals 82jährige Philipp Adler eine Richtigstellung, die über die dortige deutsche Botschaft der genannten Zeitung als „Leserbrief“ übermittelt wurde. Leider liegt uns dieser nicht vor. Ob diese Richtigstellung überhaupt veröffentlicht wurde, erscheint zweifelhaft. Wenn doch, stieß aber auch diese auf keinerlei Resonanz in Obernkirchen.
Philipp Adler starb 85jährig 1973 im fernen Neuseeland. Wie bereits ausgeführt, blieb er seiner Geburtsstadt trotz der fürchterlichen Leiden, die der jüdischen Bevölkerung nach 1933 auch in Obernkirchen zugefügt wurden, zeitlebens eng verbunden. Diese Verbundenheit hat sich auf seine Tochter Ruth übertragen.
Zur Erinnerung an die Familie Philipp Adler und zugleich an seine Eltern, Seline und Samuel, dem Erbauer dieses Wohn- und Geschäftshauses, sind am 1. 10. 2016 für Philipp Adler und seine Tochter Ruth je ein Stolperstein verlegt worden. Die Laudatio für Philipp Adler aus diesem Anlass hielt Wolfgang Starke, Düsseldorf, der in diesem Haus aufgewachsen war und dessen Großvater das Haus, welches die Stadtsparkasse 1939 im Rahmen einer „Zwangsversteigerung“, bei der aber nur sie als Bieterin zugelassen war, erworben hatte.
Für den letzten jüdischen Eigentümer dieses Hauses und Inhaber des Geschäfts, Paul Adler, dessen Frau Gertrud und ihr Sohn Erich, ist dies bereits am 1. 7. 2015 geschehen. Auch aus diesem Anlass hat Wolfgang Starke eine viel beachtete Rede gehalten.
Quellen:
- „Jüdisches Leben in der Provinz“ von Rolf-Bernd de Groot
- Auskunft des Stadtarchivs der Stadt Hildesheim per E-Mail vom 9. 6. 2017
- Auskunft der Tochter Ruth Adler, verh. Filler, per E-Mails vom 4. 4. 2015 und 15. 6. und 11. 9. 2016
- „Juden in Obernkirchen – Wo sind sie geblieben“, S. 25, Wettbewerbsbeitrages der Klasse 8 der Albert-Schweitzer-Schule Obernkirchen 1988/89 „