Stolperstein 32 Ruth Filler geb. Adler Jg. 1929
Ruth Adler, verh. Filler, wurde 1929 in Hildesheim geboren. Ihre Eltern waren die Eheleute Philipp Adler aus Obernkirchen und Margarete, geb. Rothschild, aus Hildesheim. Nach Eheschließung wohnten die Eltern einige Zeit in Köln. Dort wurde 1923 Ruths Schwester Ingeborg geboren. Aber schon bald zog die junge Familie nach Hildesheim. Ruths Vater, Philipp fand im elterlichen Geschäft seiner Frau, dem „Magazin Rothschild“ Arbeit.
Ruth war erst 9 Jahre alt, als ihre Eltern mit ihr und der älteren Schwester Ingeborg Anfang 1938 wegen des ständig zunehmenden Nazi-Terrors nach Neuseeland flüchteten. Dort lebte die heute 87-Jährig in einem Altersheim. Ich stehe mit ihr seit Anfang 2015 in regem E-Mail- Kontakt und bin immer wieder begeistert, mit welcher geistigen Frische die alte Dame nach so langer Zeit noch die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht. Denn man darf nicht vergessen, dass Ruth allenfalls 3 Jahre die Schule in Hildesheim besucht hat.
Der Familie gelang die Aufnahme in Neuseeland, weil Ruths Tante Hildegard, die Schwester ihres Vaters, und deren Mann Julius Fürst für die Familie ihres Bruders gebürgt hatten und so die Einreiseerlaubnis beschaffen konnten. Hildegard und ihr Mann waren in weiser Voraussichtlich schon 1936 von Berlin aus nach Neuseeland geflüchtet.
In Neuseeland erlernte Ruth mit großem Eifer die englische Sprache, denn das war Voraussetzung, dort die Schule besuchen zu können und sich in Neuseeland zu integrieren.
1951 lernte Ruth in Australien ihren späteren Mann, Sol Filler aus Polen, kennen. Die beiden heirateten 1952 in Auckland, NZ. Aus der Ehe gingen die beiden Töchter Debora (genannt Deb), geb. 1954, und Esther, verh. Haver, geb. 1956, hervor. Deb ist Schauspielerin und wohnt heute in Kanada. Esther lebt mit ihrer Familie – ihrem Ehemann Arnon und ihren 3 erwachsenen Kindern, einem Sohn und zwei Töchtern – nachwievor in Neuseeland.
Ruths Mann, Sol Filler, hatte während der Nazizeit ein besonders trauriges Schicksal zu beklagen. Er und sein jüngster Bruder (Ben) waren 3 Jahre dem Terror im KZ Auschwitz ausgesetzt. Beide überlebten aber. Ein unfassbar grausames Schicksal traf alle seine Verwandten in seiner polnisch Heimatstadt Brzozow. Wie wir Ruth mitteilte, sind dort 1942 über 80 Angehörige seiner Familie bei einem Massaker von einer deutschen Polizeieinheit erschossen worden – insgesamt waren es ca. 1.500 Bewohner seines Heimatortes, die auf diese Weise ermordet wurden. In einem riesigen Massengrab wurden ihre Leichname „entsorgt“. Zur Erinnerung an die Ermordeten wurde in Brzozow ein Denkmal errichtet. Bei der Einweihung waren Ruth und ihr Mann Sol anwesend.
Ruths Mann starb 1999 in Auckland.
Erstaunlich ist, mit welch hohem Interesse Ruth am Geschehen in Obernkirchen Anteil nimmt, obwohl sie als Kind bis zu ihrer Flucht in Hildesheim lebte. Ihre Verbundenheit mit Obernkirchen ist ihrem Vater, Philipp, zu verdanken, der hier geboren wurde und hier bis zu seiner Eheschließung 34 Jahre gelebt hat.
Ruth war 2008 im Alter von 79 Jahren, begleitet von ihrer Tochter Deb, zu einem Besuch in Obernkirchen. Das oben abgebildete Foto zeigt die beiden auf dem Kirchplatz. Diese emotionale Bindung an Obernkirchen hat Ruth auf ihre Tochter Deb übertragen. Deb war erstmals 2005 in Obernkirchen und hat hier im Festsaale des Stifts ihr Ein-Personen-Theaterstück „Punch me in the Stomach“ (Schlag mich in den Bauch) aufgeführt. Sie war dann 2008 gleich zweimal in Obernkirchen, einmal – wie erwähnt – mit ihrer Mutter Ruth, aber auch noch einmal am 5. 11. 2008 zur Vorstellung des Buchs „Jüdisches Leben in der Provinz“ von Rolf-Bernd de Groot mit einem Dokumentarteil über den Jüdischen Friedhof in Obernkirchen von Günter Schlusche sowie mit Familienblättern und Interviews von Siegfried Bönsch.
Als Dank und Anerkennung für so viel Verbundenheit mit Obernkirchen – trotz all der Leiden, die der jüdischen Bevölkerung auch in dieser Stadt zugefügt wurden – war es uns eine Herzenssache Ruth Adler, verheiratete Filler, bei der Stolpersteinverlegung am 1. 10. 2016 mit einem Stolperstein zu ehren, und zwar zusammen mit ihrem Vater Philipp vor dem Haus, das ihr Großvater Samuel als Wohn- und Kaufhaus um 1890 baute.
Am 1. 7. 2015 wurden dort bereits Stolpersteine für die Familie ihres Cousins Paul Adler, seiner Frau Gertrud und dem Sohn Erich Adler verlegt. Paul Adler war der letzte Eigentümer und Inhaber des Kaufhauses Adler, bevor es 1939 an die Stadtsparkasse Obernkirchen zwangsversteigert werden musste.