Stolperstein 34 Frommet Lion geb. Heinemann Jg. 1854
Frommet ( gen. Fanny) Lion, geb. Heinemann, Jg. 1854, wurde in Mansbach, heute ein Ortsteil im Landkreis Hersfeld-Rotenburg in Hessen, geboren. Sie wohnte in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße Nr. 9 – direkt gegenüber des damals sehr renommierten Textilkaufhauses „Elias Lion & Co.“, das ihre beiden Söhne Leopold und Elias Lion führten. Die Straße hieß während der Nazi-Zeit „Adolf-Hitler-Straße“. Fannys unverheirateter und kinderloser Schwager Moritz Lion, der Bruder ihres 1919 verstorbenen Mannes, Alexander Lion, hatte ihr nach seinem Tod 1925 das Haus mit einem Eisenwarengeschäft vermacht.
Anders als es den anderen jüdischen Menschen aus Obernkirchen – deren Ausreise noch nicht unmittelbar bevorstand – ab Ende 1939 erging, wurde Fanny Lion zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus ihrem Haus und ihrer Wohnung vertrieben und in das „Judenhaus“, dem ehemaligen Synagogengebäude, einquartiert. Der Grund hierfür dürfte die inzwischen eingetreten Pflegebedürftigkeit der 85-Jährigen , die von einer jüdischen Pflegekraft betreut wurde, gewesen sein. Später wurde auch Fannys Sohn Elias und seiner Familie gestattet, vorübergehend vom „Judenhaus“ in das Haus der Mutter mit einzuziehen. Die beiden Töchter von Elias waren dort zwar polizeilich gemeldet. Sie arbeiteten aber als Krankenschwestern in einem jüdischen Krankenhaus in Frankfurt und mussten dort auch zwangsnotwendig übernachten.
Die „Gnadenfrist“, im eigenen Haus noch leben zu dürfen, dauert bis Ende 1941. Nun wurde auch die inzwischen 87-Jährige, stark pflegebedürftige Mutter Fanny Hals über Kopf aus ihrem Haus vertrieben und ins „Judenhaus“ an der Strullstraße einquartiert. Auch die Familie Ihres Sohnes wurde dorthin zurückverlegt. Die jüdische Pflegekraft durfte dort nicht mit hin. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Mit Sicherheit war es kein gutes. Vielmehr ist von Deportation und Ermordung auszugehen. Offenbar sollte nun mit Mutter Fanny „kurzer Prozess“ gemacht werden.
Zu dem Zweck wurde ihr Name handschriftlich als Nr. 11 in die Transportliste
für die am 19. 1. 1942 beabsichtigte Überführung in die zentrale Sammelstelle der Gestapo im heutigen Hannover-Ahlem nachgetragen. Die Transportlist enthielt alle im „Judenhaus“ Obernkirchen noch lebenden jüdischen Menschen, die über die zentrale Sammelstelle der in die Vernichtungslager deportiert werden sollten. Da ein Name gestrichen worden war – der Gottfried Selowsky – waren es tatsächlich 10 Obernkirchner Juden, die in den Tod geschickt werden sollten.
Der Grund warum Selowsky in der Transportliste gestrichen werden musste, ist ein gesondertes Thema. Soviel aber schon mal vorab: Gottfried Selowski, der mit einer Christin verheiratet war und mit dieser 2 Kinder hatte, war schon vor 1933 durch Taufe der ev. luth. Kirche beigetreten. Als später herauskam, dass Selowski Jude war, betrachtete die NS-Führung dies als einen heimtückischen Vesuch, ihre „Juden-raus-Politik“ zu unterlaufen. Selowski wurde auf Veranlassung von Bürgermeister Herzog sofort verhaftet. Ortsgruppenleiter Buchholz prahlte in der Zeitung damit, ihn ins KZ Buchenwald zu verbringen. Er wurde irgendwann mit der Auflage entlassen, sich nicht mehr Obernkirchen aufzuhalten. Er war also zu dem Zeitpunkt der beabsichtigten Abholung gar nicht in Obernkirchen.
Der für den 19. 1. geplante „Judentransport“ verzögerte sich jedoch. Der Landrat setzte als neuen Termin Samstag, den 28. 3. 1942, fest. Inzwischen war Jakob Steinberg , der mit auf der Transportliste für den 19. 1. stand, an den Folgen des alltäglichen Nazi-Terrors verstorben, seine Frau Rosa war bereits am 27. 2. 1942 unter mysteriösen Umständen von der Gestapo abgeholt worden und Fanny Lion war absolut transportunfähig. Letztlich wurde am 28. 3. 1942 „nur“ die Familie Elias, Anna sowie die beiden Töchter Ruth und Edith in die zentrale Sammelstelle überführt. Außer Fanny Lion waren nun nur noch die 3köpfige Familie Stern im „Judenhaus“.
Die beabsichtigte Deportation von Fanny Lion erledigte sich dann aber von selbst. Sie verstarb am 9. 5. 1942. Ihr Sohn Elias erlitt in der Sammelstelle einen Schlaganfall und wurde wegen Transportunfähigkeit zurück ins „Judenhaus“ Obernkirchen transportiert. Hier starb er wenig später am 1. 6. 1942.
Erst die Mutter Fanny und bald danach Elias Lion wurden – wie die drei anderen vor ihnen – auf dem Judenfriedhof in Rinteln beigesetzt; denn der jüdische Friedhof in Obernkirchen war seit Mitte 1939 willkürlich geschlossen. Die von Leopold Lion als langjähriger Gemeindevorsteher noch vor seiner Flucht erbetene Ausnahme vom dem grundsätzlichen Beisetzungsverbot für die Bewohner des „Judenhauses“ haben die Nazi-Baren ignoriert zu. Fanny und auch Elias Lion wurden auf ihrem letzten Gang von der der Familie Benno Stern, der noch als einzige der Abtransport aus dem „Judenhaus“ in die Vernichtung bevor stand, begleitet
Zur Erinnerung an Frommet (Fanny) Lion wurde für sie am 1. 10. 2016 auf dem Gehweg vor dem unbebauten Grundstück, auf dem das Haus von Fanny stand und in dem sie bis Ende 1941 wohnte, ein Stolperstein verlegt. Babara Arp stellte Fanny Lions Leben und Schicksal vor..
Anmerkung
Das Haus von Fanny Lion wurde nach ihrer zwangsweisen Verlegung in das
„Judenhaus“ bis 1945 von dem Obernkirchner SA-Sturmführer Heinrich Rose bezogen, der aber nicht Eigentümer wurde. Das Eigentum des Hausgrundstücks hatte 1937 Fanny Lion zu gleichen Teilen ihren beiden Söhne übertragen. Aufgrund eine entsprechenden NS-Verordnung ging es dann aber nach der Flucht von Leopold 1939 und dem Tod von Elias 1942 auf das Deutsche Reich über. Durch rechtsverbindlichen Beschluss der Wiedergutmachungsbehörde Bückeburg wurde 1951 der 50 %ige Eigentumsanteil auf den rechtmäßigen Eigentümer, Leopold Lion, rückübereignet und die andere Hälfte des verstorbenen Bruders Elias einer Erbengemeinschaft übertragen, denn Elias Frau und Töchter waren dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Nach 1945 waren in dem Haus diverse Geschäfte, als erstes ein Möbelgeschäft von Gottfried Selowsky, der dies Haus nach 1945 mit seiner Familie, später nur noch mit seiner Frau bis zum Lebensende bewohnte.
Leopold Lion und die Erbengemeinschaft verkauften das Hausgrundstück 1952 an den bekannten Politiker und NS-Opfer Karl Abel, Obernkirchen. Nach Abels Tod erbten erst seine Frau und danach seine Tochter das Hausgrundstück. Diese vermachte es an ihre Cousine, die 2014 das inzwischen baufällig gewordene Haus abreißen ließ und das nun unbebaute Baugrundstück an die Stadt bzw. an die 2013 gegründeten Stadtentwicklungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH verkaufte. Diese GmbH ist eine 100%ige Tochter der Stadt Obernkirchen. Seit dem Abriss klafft dort eine Baulücke.
Quelle:
1.“Jüdisches Leben aus der Provinz“ von Rolf-Bernd de Groovt und Günter Schlusche und
eigene Recherchen
- Eigene Einsicht in die Bau und Grundstücksakte der Eigentümerin